Historisches von der „Marieninsel“ in Frankfurt
Die Grundstücke an der Taunusanlage waren schon immer ein exponierter Standort und wurden in früheren Jahrhunderten gern von angesehenen Frankfurter Geschäftsleuten für ihren Wohnsitz gewählt. Zum Beispiel von der Familie Brentano: Georg Brentano, ein Bruder des bekannten Schriftstellers Clemens Brentano, war ein Frankfurter Bankier und trat besonders als Erbauer des Brentanoparks in Frankfurt-Rödelheim hervor. Auch sein Sohn Georg Carl Ludwig (1811-1895), genannt Louis, wurde ein einflussreicher und angesehener Bankier in Frankfurt. Sein großes Stadthaus stand an der Adresse Taunusanlage 9. Die Straße, die über seinen Besitz verlief, wurde auf seine Bitte hin nach seiner 1859 verstorbenen Frau Marie Berna (geb. von Guaita) benannt – Tochter des sechsmaligen Frankfurter Bürgermeisters Georg Friedrich von Guaita (1772-1851).
Das Adressverzeichnis von 1877 weist als Bewohner der Taunusanlage 9 den im selben Jahr verstorbenen Bankier Isaac Löw Königswarter aus, der als Mäzen der jüdischen Gemeinde ein Krankenhaus stiftete. Bekannt wurde das Gebäude jedoch hauptsächlich als Stadthaus von Louis Brentano. Das Wohnhaus wurde später abgerissen und ersetzt. In dem heutigen, sechsgeschossigen Gebäude hatte zuletzt die Eurohypo AG (heute Hypothekenbank Frankfurt AG) ihren Frankfurter Sitz.
In dem danebenstehenden Stadthaus Taunusanlage 10 residierte laut Adressverzeichnis von 1877 Baron Adolf Friedrich von Reinach, ebenfalls Bankier und königlich-belgischer Generalkonsul. Ab 1883 soll Louis Brentanos einzige Tochter Maria Magdalena Brentano (auch Mickelchen genannt) hier gewohnt haben. Um das Jahr 1966 wurde es erstmals von der Deutsche Girozentrale – Deutsche Kommunalbank, die 1999 mit der Deka-Bank fusionierte, bezogen. Letztere ist bis heute Mieter im Bürokomplex Taunusanalage 10. Am 01.07.2013 hat die HOCHTIEF Projektentwicklung GmbH das Grundstück erworben.
Das höchste Haus in der Reihe war von Beginn des 19. Jahrhunderts an die Taunusanlage 11 an der Ecke zur Mainzer Landstraße. 1946 wurde es vom so genannten Amerika Haus – der offizielle Name war "United States Information Center (USIC)" – abgelöst. In den Baujahren 1971/72 entstand an selber Stelle die 16-geschossige Deutschlandzentrale der Chase Manhattan Bank – heute T11 genannt.
Die städtebauliche Situation heute
Das Projektgrundstück setzt sich aus den Adressen Taunusanlage 9 und Taunusanlage 10 zusammen und befindet sich im Zentrum der Stadt Frankfurt am Main, in unmittelbarer Nähe zur Alten Oper und im Bereich des Bankenviertels. Es nimmt den Großteil eines nahezu quadratischen Areals ein, das von der Mainzer Landstraße im Norden, der Straße Taunusanlage im Osten und der im rechten Winkel abknickenden Marienstraße im Westen und Süden begrenzt wird. Etwa 6 500 Quadratmeter Baugrund können – unter Einhaltung aller Abstandsvorschriften – neu beplant werden.
Im spitzen Winkel, den Mainzer Landstraße und Taunusanlage bilden, steht das soeben zum zweiten Mal renovierte Hochhaus T11 (die erste Renovierung erfolgte 1992). Es ist 75 Meter hoch und bedeckt eine Grundrissfläche von etwa 600 Quadratmetern, an die ein Flachbau angebaut ist. Auf dem südlich an das Planungsareal anschließenden Grundstück ist mit der Adresse Taunusanlage 8 eine Neubebauung mit einem 68 Meter hohen Bürogebäude vorgesehen.
Die Vorgeschichte
Im Hochhausentwicklungsplan von Jourdan & Müller aus dem Jahr 2007 waren mit dem Arbeitstitel „Marieninsel“ zwei Bebauungsvarianten für das Planungsareal vorgeschlagen: Die erste berücksichtigte das Bestandshochhaus und sah ein weiteres, 220 Meter hohes Gebäude vor. Die zweite Variante ging davon aus, dass das bestehende Eckgebäude abgerissen und durch ein 220 Meter messendes Hochhaus ersetzt werden könnte. Sockelbauten, sechsgeschossiger Wohnungsbau und eine hochwertige Gestaltung des Außenraums waren ebenfalls Teil des Plans.
In den Frankfurter Hochhausentwicklungsplan von 2008 (Fortschreibung des Hochhausrahmenplans von 1998) wurde die erste Variante aufgenommen, die Höhe des Bürohauses auf 210 Meter beschränkt und die Wohnbebauung gekippt.
2004 hatten sich übrigens drei Grundstückseigentümer zusammengetan, um die spätere Variante zwei durchzuspielen: Der Architekt Dieter Köhler hatte sich an der Ecke Taunusanlage/Mainzer Landstraße einen 250 Meter hohen Turm vorgestellt. Auf dem verbleibenden Grundstück sollten entlang der Marienstraße Sockelbauten errichtet werden.
Das Projekt
Unter Berücksichtigung der besonderen Lage in Frankfurt soll ein herausragendes Gebäudeensemble von höchster Wirtschaftlichkeit entstehen. Vorgesehen sind mindestens 60 000 Quadratmeter Bruttogrundfläche in einem oder mehreren Baukörpern, darunter ein Hochhaus mit höchstens 50 000 Quadratmeter Bruttogrundfläche. Mindestens zwei eigenständige Bauteile, die eine reale Grundstücksteilung zulassen, sollen zwei unabhängige Adressen (zur Mainzer Landstraße und zur Taunusanlage, letztere mit eigener Vorfahrt) bilden und die Aufteilung in mindestens zwei Bauabschnitte ermöglichen. Die Gebäudehöhe wird auf 140 Meter (Gebäudekante ohne Aufbauten) über Oberflächenkante begrenzt.
Die Freiräume zwischen den Gebäuden sollen so angelegt sein, dass sie sich für einen angenehmen Aufenthalt eignen. Parkende Pkws werden in einer teilbaren und teilöffentlichen Tiefgarage mit 300 Stellplätzen untergebracht. Die Zufahrt zur Tiefgarage und der Anlieferverkehr sollen über die Marienstraße geführt werden.
Das Immobilienprojekt soll vorrangig der Büronutzung dienen. Ein Regelgeschoss wird etwa 1 000 Quadratmeter Bruttogrundfläche umfassen. Erschließung und Kernbereiche müssen Teilmieteinheiten ab 400 Quadratmeter Fläche zulassen sowie die flexible Gebäudenutzung innerhalb der Gebäudestruktur und Regelgeschosse ermöglichen. Ebenerdig werden Flächen für eine Kantine und punktuell für gastronomische Angebote reserviert. Außerdem werden ein Konferenzbereich und Lagerflächen untergebracht.
Das Gutachterverfahren
Gerade wurde ein nicht anonymes, einstufiges Gutachterverfahren mit acht eingeladenen Teilnehmern in Form eines freien Auswahlverfahrens abgeschlossen. Die eingereichten Arbeiten wurden nach einer Vorprüfung auf Einhaltung der formalen und inhaltlichen Anforderungen von den Preisrichtern einer siebenköpfigen Jury unter Vorsitz von Prof. Carl Fingerhuth bewertet. Die Wettbewerbsergebnisse sollen die Grundlage für ein direkt anschließendes Bebauungsplanverfahren bilden.
Ziel des Verfahrens war es, konkrete städtebauliche, architektonische und funktionale Vorstellungen davon zu entwickeln, wie die Grundstücke Taunusanlage 9 und 10 bebaut werden könnten. Städtebaulich waren die exponierte Lage im Frankfurter Stadtgebiet und das Zusammenspiel mit den benachbarten Gebäuden zu berücksichtigen. Architektonisch wurden anspruchsvolle und zugleich wirtschaftliche Immobilien mit gehobener Ausstattung, flexibel nutzbaren Flächen und repräsentativem Charakter erwartet. Besonderes Augenmerk galt der Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück: Sie sollte mit einer ansprechenden Freiraumgestaltung kombiniert werden und trotzdem funktional sein. Zudem sollte das Konzept umweltverträglich ausgerichtet sein und den Anspruch an nachhaltiges Bauen und Betreiben erfüllen.
Der Siegerentwurf
Thomas Müller und Ivan Reimann, Gesellschaft von Architekten aus Berlin, haben mit ihrem Entwurf die Jury überzeugt. Das städtebauliche Konzept sieht zwei unabhängig voneinander realisierbare Gebäudeteile vor: ein Hochhaus an der Taunusanlage, das aus zwei Scheiben besteht, sowie ein zirka 30 Meter hohes, achtgeschossiges Bürohaus an der Mainzer Landstraße, das an einen sechsgeschossigen Anbau mit etwa 23 Meter Höhe anschließt. Das zirka 150 Meter hohe, 40-geschossige Hochhaus richtet sich mit seiner breiteren Seite zur Taunusanlage hin aus und nimmt deren Bauflucht auf. Der zweite Bauteil fügt sich zur Mainzer Landstraße in die Straßenrandbebauung ein und zieht sich entlang der westlichen und südlichen Marienstraße. Hier wird er aber so weit von der Straßenflucht zurückgesetzt, dass sich der öffentliche Straßenraum zu einem kleinen Platz aufweitet. Ein einheitliches Pflaster des Platzes und der Marienstraße unterstützt den Eindruck von Weitläufigkeit. Damit entsteht eine gut nutzbare Freifläche, die – wie alle Vorplätze – von Bäumen gesäumt wird. Das Ensemble lässt sich über drei Eingänge betreten: über die beiden Haupteingänge, die sich an der Taunusanlage und der Marienstraße gegenüberliegen, sowie einen weiteren Zugang von der Mainzer Landstraße aus.
Das sagt die Jury: „Das Gebäudeensemble reagiert mit wenigen, jedoch städtebaulich gezielt eingesetzten Akzenten auf die umgebende Bebauung. Die Bauflucht entlang der Taunusanlage wird aufgenommen und besetzt. Die Mainzer Landstraße wird städtebaulich geschlossen... Das Hochhaus beeinträchtigt die Gebäude der Nachbargrundstücke der Taunusanlage 8 und Taunusanlage 11 ... nur im notwendigen Maße. Die zweigeteilte Verschränkung und Höhenstaffelung des Gebäudes gliedert das Hochhaus und generiert effiziente Grundrisse mit entsprechenden Eckbürosituationen in den oberen Geschossen.